„Der Charakter wirkt mir irgendwie zu blass“, oder: „Gib dem doch ein bisschen mehr… Farbe“.
Jeder angehende Autor kennt das: der Testleser ist mit dem Protagonist unzufrieden. Der Protagonist hat keine Stärke, zu wenig Farbe und überhaupt: zu wenig Charakter. Nicht nur den Testlesern fällt das auf, ich habe selbst als angehender Autor die Erfahrung gemacht, dass „schwächere“ Protagonisten den Spaß am Schreiben nehmen. Darum möchte ich diesen Blogbeitrag nutzen, um euch ein paar Tricks aus eigener Erfahrung zu zeigen, die für euch (und eure Charaktere) nützlich sind.
Von Kopf bis Fuß
„Mein Charakter hat blaue Augen, braunes Haar, ist 1,75 m groß und ein Junge. Seit seinem siebten Lebensjahr lebt er in Göttingen…“
Es schadet nie, wenn ihr euren Charakter von Kopf bis Fuß beschreiben könntet: ihr habt sein Gesicht vor Augen, seinen Gang, seine Klamotten, könntet seinen Lebenslauf im Schlaf aufsagen. Wie gesagt, es schadet nicht, wenn ihr es erzählen könntet. Aber es schadet, wenn ihr es tut. Niemand kann sich einen Absatz an Details über das Aussehen von jemandem merken, warum erzählt ihr es dann überhaupt?
Um einen Charakter vorzustellen, reichen sehr wenige Details. Mit der Körpergröße kann ich zum Beispiel für gewöhnlich sehr wenig anfangen. Einzige Ausnahme: der Charakter ist besonders groß – oder klein. Wählt eine oder zwei Besonderheiten an eurem Charakter, und nutzt sie bis zum Schluss!
Bestimmt gibt es etwas, was an eurem Charakter besonders ist. Ist es vielleicht sein lässig-schlendernder Gang? Oder das rote Notizbuch mit dem Totenkopf drauf, das sie nie aus der Hand gibt? Gebt eurem Charakter einen solchen Gegenstand (oder eine Eigenschaft) und erwähnt sie immer wieder. Nutzt sie als Aufhänger, nutzt sie, um Emotionen darzustellen.
Sie erschrickt sich? Dann fällt ihr vielleicht das Notizbuch aus der Hand – Dabei hält sie es doch sonst immer so fest umklammert!
Ich habe sogar noch ein anderes Beispiel für euch: welcher bekannte Buchcharakter hat einen silbrigen Bart und halbmondförmige Brillengläser? Richtig, Professor Dumbledore. Das sind gleich zwei Merkmale, die uns Joanne K. Rowling in ihren Büchern immer wieder einbläut.
Aber vorsicht: wenn ihr etwas in der Art verwendet, dann sollte es schon einen gewissen Zweck haben und gut in eure Geschichte passen.
Der Name – und ein Synonym
Wie wir unsere Charaktere nennen, hat gewaltigen Einfluss darauf, wie sie wahrgenommen werden. Einen Charakter kann man nicht einfach nur mit seinem Namen bezeichnen – man kann auch ein Synonym für ihn wählen. Es gibt verschiedene Stufen dieser Taktik, die unterschiedlich wirken.
Zunächst die Journalisten-Variante: der Beruf. In Zeitungsartikeln liest man häufig Sätze wie den folgenden:
Robert Meyer ist ein Mann mit unglaublicher Ausstrahlung. Der Bäckermeister war schon in der Schule für seine Redekunst berühmt und wurde deswegen zum Klassensprecher gewählt.
Dieses „Der Bäckermeister“ ist ein Synonym für den Namen von Herrn Meyer. Von dieser Art Synonym würde ich aber tendenziell eher abraten – um es genauer zu sagen: sie helfen nicht dabei, euren Charakter stärker zu machen.
Die Variante, die an dieser Stelle entscheidend ist, ist die der Merkmale. Die Merkmale, die ihr euren Charakteren (wie im ersten Teil des Beitrags beschrieben) gegeben habt, kommen hier wieder zum Einsatz. Statt „Ronald Weasley“ könnte man zum Beispiel auch „der rothaarige Junge“ verwenden. So erinnert man seine Leser daran, dass er rote Haare hat – und es klingt auch noch eleganter, weil man nicht in jedem Satz den Namen wiederholt.
Auch hier gibt es etwas zu beachten: denn ich rate davon ab, zu viele solcher Synonyme für die gleiche Person zu verwenden. Ich persönlich benutze höchstens eins pro Charakter – und das in der gesamten Geschichte. Stellt euch doch mal vor, ihr würdet bei jedem Satz ein anderes Synonym verwenden – wer soll sich dann noch merken, um welchen Charakter es jetzt nochmal ging? Nehmt lieber ein einziges knackiges und verstreut es gut über eure Geschichte. Und wenn ihr euch daran haltet, dann verspreche ich euch: diese Eigenschaft wird im Gedächtnis eurer Leser hängenbleiben!
Was ich liebe – und sehr oft benutze – ist die „High-Fantasy-Variante“. Sie ist vielleicht auch eine Schwäche meiner Texte – aber das kann ich nicht beurteilen. In dieser Variante spricht man das Offensichtliche aus. In einer Unterhaltung zwischen einem Zwerg, einem Elb und einem Zauberer nenne ich sie nicht Gimli, Legolas und Gandalf (da kommt man nämlich schnell durcheinander) – sondern „der Zwerg“, „der Elb“ und „der Zauberer“. Und das ist so einfach, wie es klingt. Über den High-Fantasy-Schreibstil werde ich aber wann anders berichten.
Fight!
Wann kann man einen Menschen so richtig kennenlernen? Ich habe es schon selbst verraten: im Streit. Es gibt natürlich auch andere Wege, einen Charakter zu vertiefen, aber mit dem Thema „Konflikt“ habe ich die besten Erfahrungen gemacht.
Mit „Streit“ meine ich nicht unbedingt eine handfeste, gewalttätige Auseinandersetzung oder fiese Beleidigungen. Aber es sagt immer viel über einen Charakter aus, wie er auf Erniedrigung, Beleidigung oder Herablassung reagiert. Kann der Charakter jede Kritik cool abblitzen lassen? Geht er gleich auf den Streit ein und schleudert Beleidigungen zurück? Wo sind seine Grenzen – wo ist der Knopf, den man nur drücken muss, damit er an die Decke geht. Überlegt euch gut, wie die Reaktionen eures Charakters sind – und baut eine solche Szene ein.
Was ich immer spannend finde, sind wiederkehrende Konflikte. In Abenteuer-Romanen gibt es häufig eine kleine Gruppe Abenteurer, auf dem Weg durch die Wildnis zu einem mysteriösen Ort. Traditionell hat der Protagonist innerhalb der Gruppe mindestens eine Person, mit der er sich nicht versteht – und mit der es immer zwangsläufig zu Konflikten kommt. Keine Mahlzeit und keine Unterhaltung, in der nicht einer der beiden eine fiese Bemerkung macht. Solche Szenen helfen nicht nur, eure Geschichte lebendig zu halten, sondern man kann sie auch nutzen, um die Charaktere zu verbessern.
Einfach mal schweigen
Wenn mal keine Zeit zum Streiten ist, dann kann man auch einfach mal die Zeit zum Schweigen nutzen. Erzählt die Wahrnehmungen eures Charakters, gerne über viele Seiten hinweg. Jeder Mensch nimmt die Dinge anders wahr – oder misst manchen Dingen mehr Bedeutung bei als anderen. Das klassische Beispiel: Sherlock Holmes und Doktor Watson. Sherlock Holmes fallen die braunen Hundehaare am Kleid einer Dame auf – Watson ihre Schönheit. Setzt die Brille auf, durch die euer Charakter die Welt betrachtet – ob sie nun schwarz-weiß ist oder rosarot – und bringt eure Leser dazu, dasselbe zu tun.
Das waren auch schon meine drei umfangreichen Tipps für unvergessliche Charaktere – ich hoffe, ich konnte euch damit etwas helfen. Habt ihr andere Erfahrungen gemacht, oder noch andere Ideen, wie man Charaktere lebendiger machen kann? Ich bin auf eure Kommentare gespannt. Viel Spaß beim Schreiben!