Interview: mit Andreas Eschbach

Interview: mit Andreas Eschbach

„Ich habe nicht Informatik studiert. Aber wer in den Achtzigern eine Schreibmaschine von einem Computer unterscheiden konnte, der konnte sich schon als Computerspezialist einen Auftrag an Land ziehen.“. Der Berühmte Science Fiction Autor sprach mit im Interview mit mir

Auf der Frankfurter Buchmesse konnte ich den bekannten deutschen Autoren Andreas Eschbach zu einem Interview treffen. Anlass ist sein kürzlich erschienenes Buch „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“. Wir trafen uns in einem Presseraum des Lübbe-Verlags, ein wenig geschützt vor dem Messe-Gedränge.

Jaspers Buchblog: Herr Eschbach, wie kam es zu Ihrer ersten Veröffentlichung „Die Haarteppichknüpfer“? Wie kamen Sie an einen Verlag?

Andreas Eschbach: Es ist komisch das zu sagen: Es war ja noch in einem anderen Jahrtausend, damals waren die Spielregeln noch ein bisschen anders als heute. Es war ganz klassisch, ich schickte mein Manuskript an die Verlage, bekam es wieder zurück, schickte es an andere Verlage. Ich hatte einfach eine Liste von Verlagen, die ich mir gut vorstellen konnte. Und eines Tages, nach nicht ganz einem Jahr gab es die Zusage – die Post hat auf jeden Fall gut an mir verdient – und der Verlag hat bei mir angerufen und Interesse bekundet.

Jasper: Heutzutage wäre ein Jahr nicht viel, oder?

Eschbach: Es gibt Unterschiede! Es gibt Autoren, die schicken ihr Manuskript an einen Verlag und der sagt sofort zu. Ich habe aber auch eine amerikanische Autorin kennengelernt, die hat zehn Bücher geschrieben, bevor dann eins veröffentlicht wurde, ich habe sie schon damals kennengelernt und sie mir als Vorbild genommen: es braucht eben ein wenig Durchhaltevermögen. Aber heute sind die Spielregeln anders, wenn man heute anfängt ist es auch ein gangbarer Weg, sich zum Beispiel als Selfpublisher erstmal ein Publikum zu erarbeiten und dann mit dem Publikum zum Verlag zu kommen. Wenn man zum Verlag kommt und ihm sagt, ich habe schon zehntausend feste Leser – dann nimmt der Verlag jeden mit Handkuss.

Jasper: Von Beruf waren Sie zunächst Softwareentwickler, haben aber schon an ihrem zwölften Lebensjahr begonnen zu schreiben. War es schon immer ein Wunsch, Schriftsteller zu werden?

Eschbach: Ja. Ich habe aber nicht Informatik studiert: wer in den Achzigern eine Schreibmaschine von einem Computer unterscheiden konnte, der konnte sich schon als Computerspezialist einen Auftrag an Land ziehen. Es war sozusagen der „Wilde Westen“ des Programmierens, man hat es sich eher selber beigebracht.

Jasper: Bücher wie Black*Out, oder auch Ihr neues Buch NSA sind durchaus kritisch zu verstehen, was Programme, Technik und die Möglichkeiten, die diese eröffnen, angeht. Womit hängt das zusammen?

Eschbach: Es geht mir einfach darum, dass man die Möglichkeiten und Gefahren von einer Technologie realistisch betrachtet. Wir haben auf der einen Seite einen Hype um irgendwas; Blockchain, Cloud, Big Data… Es entsteht ein Gefühl nach dem Mott: Das Paradies auf Erden ist da, weil wir Bitcoin haben. Es geht so sehr in die Richtung, dass alles Neue klasse ist, dass es auch eine Stimme geben muss die sagt: Halt.

Und das ist in der Science Fiction schon eine ganz alte Tradition. Schon bei Jules Verne, der die Science Fiction maßgeblich geprägt hat, sieht man einen Wandel: der junge Jules Verne hat Romane geschrieben, in denen Technik ganz toll war – denn es war eine Zeit, in der es eine Skepsis der Technik gegenüber gab: dass sich der elektrische Strom durchsetzen würde, haben zum Beispiel viele lange bezweifelt. Um die Jahrhundertwende gab es auch dort einen Sinneswandel, definitiv zu vergleichen mit den Hypes heute – und plötzlich war Technik das einzig Wahre. Und bei den Romanen von Jules Verne sieht man dann, wie er ab dieser Zeit sagt: ja aber, halt! Er stellt plötzlich den Sinn der Erneuerungen in Frage – und das, was sie bewirken können. Das heißt: Science Fiction ist immer auch eine Reaktion auf die allgemeine Stimmung.

Jasper: Sie haben mit NSA ein Buch geschrieben, dessen Handlung an die Zeit des 2. Weltkriegs angelehnt ist. Hatte das einen bestimmten Grund?

Eschbach: Es ist ja nicht wirklich ein Roman über das dritte Reich. Die Idee kam mir deshalb, da bei der ganzen Sache mit Snowden und der NSA viele Diskussionen darüber gab, wie schlimm das ist, was er uns da enthüllt hat – man hat so etwas zwar schon lange geahnt, aber er hat es bestätigt und die technischen Details geliefert. Bei dieser Diskussion hat mich aber gestört, dass die meisten Leute sich gar nicht vorstellen können, was totale Überwachung im Extremfall heißt. Für viele scheint das schlimmste zu sein, dass Amazon ihnen zielgerichtete Werbung präsentiert – nur weil sie auf einer Seite waren, wo es Fahrräder gab, kriegen sie von Amazon Werbung für Fahrräder – das ist aber bei weitem nicht das Schlimmste! Ich habe mal in einer Diskussion gesagt: „Stellt euch nur vor, die Nazis hätten diese Überwachungstechnik gehabt.“ Und daraus ist dann die Idee entstanden, NSA zu schreiben.

Es gibt zwar den Roman 1984 von George Orwell über totale Überwachung durch eine zukünftige Diktatur – wenn man sich aber eine zukünftige Diktatur ausmalt, dann kann man immer sagen das sei ja erfunden. Bei den Nazis wissen wir aber: die hat es gegeben, das war so schlimm, die waren völlig rücksichtslos und man kann sich auch vorstellen, was die Nazis mit den heutigen Mitteln gemacht hätten. Also versetzte ich zwar die heutige Technologie in die Vergangenheit, frage aber, was wäre, wenn unter den heutigen Bedingungen ein solches System wiederkäme.

Jasper: Und würden Sie das überhaupt als Science Fiction bezeichnen?

Eschbach: Das ist eine sogenannte Uchronie – eine alternative Geschichte – und das ordnet man meist der Science Fiction zu. Da gibt es Fragen wie: was wäre, wenn es zur Zeit von Queen Victoria schon Luftschiffe gegeben hätte – so Steampunk mäßig zum Beispiel.

Das Cover von „NSA“

Jasper: In ihrem Buch sind sowohl die Hauptperson, Helene Bodenkamp, als auch ihr Vater sehr zurückhaltende Charaktere. Helene hinterfragt (zunächst) nichts, will aber auch niemandem etwas Böses. Warum haben Sie einen solchen Charakter als Hauptfigur gewählt?

Eschbach: Sie wird im Verlauf des Buches in das Dilemma hineingeführt, sich zu ändern: Sie ist zuerst einfach eine brave Tochter, die tut was man ihr sagt und diese Rolle verkörpert, die der Frau damals zugeordnet worden ist: nämlich, dass sie zu tun hatte, was die Männer sagten. Und der Konflikt beginnt dann, als sie mit den Auswirkungen ihrer Arbeit konfrontiert wird. In der Eingangsszene stellt sie fest: hoppla, meine Computerauswertungen werden zu ganz anderen Zwecken verwendet – und der Mann, den ich eigentlich verstecken wollte, ist durch mich nun auch in Gefahr; da ist sie persönlich betroffen und musss feststellen, dass sie bisher falsch unterwegs war. Dieser Wandel, der sich in der Person Helene Bodenkamp vollzieht, ist das Spannende.

Jasper: Helene hat Freunde, die Brenners. Dieses Ehepaar ist sehr streng religiös. Nun haben Sie sich auch in anderen Büchern wie im „Jesus Video“ sehr stark mit Religion auseinandergesetzt. Da stellt sich die Frage: sind Sie selbst religiös?

Eschbach: Ob ich religiös bin, das weiß Gott allein. – (Andreas Eschbach schmunzelt) – Die Idee zu den beiden Figuren – den Brenners – kam mir, als ich über das dritte Reich recherchiert habe. Bei meinen Recherchen stieß ich auf die Aussage, dass speziell aus den katholischen Kreisen viel Widerstand gegen das Menschenbild der Nazis kam. So eine Stimme wollte ich auch haben, um das Buch ausgeglichener und realistischer darzustellen. Es gab eben auch damals Menschen, die sich dagegen gestellt haben. Ich bin Religionen gegenüber kritisch eingestellt, das stimmt – andererseits kenne ich Leute, die Religiös und sogar „fromm“ sind – und trotzdem in Ordnung. Es hat gar nichts mit Religion zu tun. Natürlich sind Leute, die ihre Religion auffällig vor sich hertragen in der Regel unerträglich – aber es gibt auch Leute, für die das einfach ein Teil ihrer Identität ist, so eine Art Sprache, die sie im Leben sprechen. Als ob etwas, das in ihnen schon da ist eine Form findet – und wenn diese Form nicht da ist, dann ist es hohl und ist das, was man hasst: dann kommt der Pfarrer und predigt von Liebe aber schlägt einen dann mit dem Rohrstock, wenn man nicht das tut, was er will (das ist eine Geschichte die viele erzählen, die früher auf dem Land zur Schule gegangen sind).

Jasper: Sie haben mit 12 angefangen zu schreiben. Ist Ihnen die Fägigkeit dazu in die Wiege gelegt? Oder kommt das erst, wenn man älter wird…

Eschbach: Meine ersten Sachen gibt’s zwar noch – aber die sind gut versteckt. Aus denen kann mal jemand – nach meinem Tod – eine Sonderausgabe machen, mit kritischen Anmerkungen. Anders gesagt: es ist schon so, dass man üben muss. Es ist vielleicht ähnlich, wie bei einem Fußballspieler oder einem Musiker: wenn man Musiker ist, braucht man ein bestimmtes Gehör, aber das allein nützt einem noch nichts. Man braucht auch ein Talent um Chirurg zu sein: man braucht eine ruhige Hand und ein bisschen Sorgfalt. Ein Schlamper mit Zitterhänden wird also nicht Chirurg werden, aber man muss trotzdem üben. Sich von jemandem operieren zu lassen, der bloß das Talent hat Chirurg zu werden, würde ich nicht empfehlen. Beim Schreiben ist es jetzt nicht ganz so kritisch, denn der Vorteil beim Schreiben ist, dass man alles, was man geschrieben hat, nochmal überarbeiten kann, oder man kann es auch ganz in der Schublade lassen. Das Schreiben ist einfach eine sehr robuste Kunst. Ein Tänzer der ausrutscht und hinfällt, der hat seinen Auftritt ruiniert. Ein Schriftsteller kann bis zur Drucklegung noch alles ändern und verbessern. Was man eigentlich tut, ist sein Urteilsvermögen verbessern: ob man das, was man da geschrieben hat, wirklich auf die Menschheit loslassen sollte, oder ob man es nochmal ganz anders formuliert.

Jasper: Lassen Sie sich denn beim Schreiben selbst von irgendwas beeinflussen?

Eschbach: Unbewusst wird man natürlich immer beeinflusst. Früher habe ich viel Musik gehört beim Schreiben, aber mit dem Alter wird man was das angeht ein bisschen empfindlicher und die Musik fängt an, einen zu stören. Da sich das Konzentrationsvermögen… sagen wir mal: verändert. Ich kann mich heute einerseits besser konzentrieren als früher, andererseits aber mag ich bestimmte Störfaktoren nicht mehr. Musik höre ich beim Überarbeiten gern, das ist eine andere Situation. Aber wenn ich schreibe, muss es still sein. Ansonsten befindet man sich auch immer in einer bestimmten Gefühlslage, man denkt sich auch rein in die Geschichte. Man setzt sich nicht einfach an den Schreibtisch und fragt sich: „wo war ich stehengeblieben?“ und es geht weiter. – (Andreas Eschbach macht eine Computer-Tippgeste mit beiden Händen auf der Tischplatte) – Man muss sich jedes Mal wieder reindenken. Ich bin dann geistig nicht an meinem Schreibtisch, sondern im Weltall oder im Dritten Reich.

Jasper: Gab es etwas, das Sie Ihren Lesern über Ihr Gesamtwerk vermitteln wollten?

„Geld ist nichts, was in der Natur vorkommt, wir Menschen haben es erfunden – und trotzdem wissen wir nicht, wie es funktioniert.“

Eschbach: Vermitteln ist vielleicht das falsche Wort, ich will etwas teilen. Ganz oft sind es Verwunderungen. Ich bin über irgendwas verwundert: man erlebt etwas aufregendes oder empörendes und dann hat man das Bedürfnis es jemandem zu erzählen. Wie der mich behandelt hat, oder stell dir vor, da komm ich daher und es passiert das und das. Das ist eine Haltung, die hinter vielem steckt, was ich so mache. Zum Beispiel bei Eine Billion Dollar, meinem ersten großen Bestseller. Da wollte ich nicht schreiben wie toll oder wie schrecklich es ist so viel Geld zu haben, sondern es ging mir um das Geldsystem als solches. Und als ich mich damit beschäftigt hatte, schon die Jahre davor, war ich jedes Mal verwundert: denn Geld ist nichts, was in der Natur vorkommt, wir Menschen haben es erfunden – und trotzdem wissen wir nicht, wie es funktioniert. Wir rennen dem Geld nach und dann macht es dumme Sachen, es gibt Inflation und Deflation. Der eine Experte sagt, wir müssen in diese Richtung und der andere sagt genau das Gegenteil.

Eine Billion Dollar Cover

Das Cover von „Eine Billion Dollar“

Jasper: Auch für solche Bücher müssen Sie sehr viel recherchieren. Macht das einen großen Teil der Arbeit aus?

Eschbach: Das macht auch einen Teil vom Spaß aus, dass man einen Grund hat sich mit einer Thematik zu beschäftigen, für die man sich vorher vielleicht noch gar nicht so richtig interessiert hat. Die Idee verlangt, umgesetzt zu werden. Zum Beispiel das dritte Reich: darüber Bücher zu lesen ist jetzt nicht gerade mein Hobby – diese Abgründe, die sich da auftun. Man fragt sich ja besonders als Deutscher immer: wenn ich damals gelebt hätte, wie hätte ich mich verhalten? Wie wär ich da durchgekommen, welche Situation hätte sich ergeben, hätte ich vielleicht einen Freund verstecken müssen? Wäre ich womöglich der Propaganda erlegen und glühender Anhänger gewesen und hätte hinterher dumm dagestanden? Es ist also keine Lektüre, der ich mich freiwillig aussetze – aber ich wollte dieses Buch schreiben, also musste ich es tun. Und letztendlich fand ich es dann doch auch interessant, was man dann alles erfährt. Wie modern die Nazis eigentlich waren. Also sie waren auch glühende technische Befürworter, meistens technischer Wunderwaffen, aber es gab auch die ersten Fernsehsendungen damals. Man entdeckt schon interessante Sachen.

Jasper: Und haben Sie für NSA auch Orte besucht?

Eschbach: Nein das habe ich nicht gemacht, weil ich fand es nicht nötig. Gut, eine im Verlag die kommt aus Weimar und hat gesagt das und das hätte ich nicht ganz so richtig beschrieben. Aber ich habe gesagt das ist ja auch eine ganz andere Welt, die ich da beschrieben habe. Es ist ja auch eine ganz andere Welt. Also wird es da Straßen geben, die es in der Wirklichkeit nicht gegeben hat.

Jasper: Waren Sie schon einmal in Weimar?

Eschbach: Ich war einmal kurz in Weimar aber das ist schon eine Weile her und war nicht zum Zweck der Recherchen. Ich habe über das damalige Weimar viel recherchiert: über das Hotel in dem Hitler immer gern genächtigt hat und so. Ich habe mich mit dem Thema Alltag im dritten Reich beschäftigt. Und dann ging es um Computer, aber das wusste ich ja alles schon.

Jasper: Zum Thema Computer: Eigentlich ist die Programmiersprache ja englisch, oder? Haben Sie das einfach übersetzt oder haben Sie da noch eigene Begriffe reingebracht?

Eschbach: Also Programmiersprachen sind ja in englisch gehalten, weil die Computerreihe in England und Amerika begonnen hat. Aber wäre das in Deutschland erfunden worden, wäre das natürlich alle deutsch. Zum Beispiel als ich studiert hab, da gab es einen Compiler, wo alle Befehlsworte bayrisch waren! Das kann man auch machen. Dem Computer ist es egal was er da übersetzt.

Jasper: Gibt es das noch?

Eschbach: Vielleicht noch irgendwo.

Jasper: Haben Sie schon neue Projekte?

Eschbach: Ja, aber über die verrate ich noch nichts. Nächstes Jahr kommen zwei raus, ein dicker Science Fiction-Roman im Frühjahr und ein Jugendbuch im Herbst. Eins kann ich schon verraten: letzteres wird der dritte Band von meiner Meermädchen-Reihe, mit dem Mädchen das unter Wasser atmen kann. Aquamarin, Submarin und nächstes Jahr der dritte Band: Ultramarin.

Jasper: Dann bedanke ich mich für das Gespräch!

Eschbach: Gerne!


Das Interview wurde geführt auf der Frankfurter Buchmesse 2018. Mit freundlicher Unterstützung des Lübbe-Verlags.

Meine Meinung zu NSA: Rezension: Nationales Sicherheits-Amt

Mein Bericht von der Buchmesse: Buchmesse: Tag 1

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