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Kurzkrimi: Der Schreck am Fenster – Teil 2

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Heute folgt der zweite Teil meines Kurzkrimis. Den ersten Teil könnt ihr hier lesen. Den nächsten Teil werde ich am Dienstag den 26. Mai veröffentlichen. Ich habe mich sehr über die Rückmeldung zum ersten Teil gefreut und würde mich auch diesmal auf Kritik freuen! Viel Spaß.

Zweiter Teil – 17. Oktober 1889, Edinburgh

Als Mrs. Kennton gegangen war und ich zurück in unser Wohnzimmer kam, sah ich Percy in Gedanken versunken dasitzen. Im Kamin glühten noch die Kohlen. Auf dem Beistelltisch vor dem Besuchersofa stand die volle Tasse mit Schwarzem Tee, die Mrs. Kennton nicht angerührt hatte. Der Tee war kalt.

„Es gibt Tage da denke ich, die Welt ist doch selbst ein großes Rätsel.“, sagte Percy träge zu mir, eher, als spräche er zu sich selbst. Dabei hatte er die Augen geschlossen und mit den Händen hielt er eine Tasse Tee vor seinem Bauch umklammert. „Und ich habe keine Lust, diesen Sessel zu verlassen, um es zu lösen. Kennen Sie das Gefühl?“

Percy verstummte und er begann die Tasse mit dem Tee leicht umzuschwenken und abwechselnd hineinzublasen, um den Tee abzukühlen. Indessen knisterte der Kamin. Das Feuer flackerte und warf geisterhafte Schatten an die Wände unseres Wohnzimmers und Büros, in dem kein anderes Licht brannte. Es war Nacht geworden, finster und kalt. Ich stand von meinem Sessel auf und ging vom Kamin weg zum Fenster. Ich blickte auf die dunklen Straßen von Edinburgh, von denen eine direkt unter diesem Fenster lag. In der Ferne leuchtete eine Laterne, doch dazwischen lagen die Schatten der Nacht, tief und dunkel wie der Bauch eines Wals.

„Glauben Sie, es ist diesmal etwas Übernatürliches, Percy? Glauben Sie, es ist tatsächlich Mrs. Kenntons Geist zurückgekehrt?“, fragte ich, denn mich trieben düstere Gedanken um.

„Machen Sie sich darum Gedanken? Ich glaube an das, was ich sehe. Wenn ich einmal einen Geist sehe, mit eigenen Augen, dann werde ich meine Meinung ändern. Aber da dies noch nicht geschehen ist, glaube ich nur an das Böse im Menschen. Und das enthält – zu meinem Bedauern – nichts von Aberglaube. Wie du weißt, halte ich mich streng an Logik und Wahrscheinlichkeit. So wie Sie schließlich auch, alter Freund. Wenn ich all die von uns gelösten Fälle bedenke, in denen sich am Ende jede Geistererscheinung als Betrug entpuppt hat, dann glaube ich auch diesmal nicht an Übernatürliches.“

Ich wusste, dass er soweit Recht hatte. Ich wusste auch, dass sich Percy bisher nur selten geirrt hatte. Und doch sollte es in diesem Fall noch so manchen Moment geben, der uns beide an unseren Überzeugungen zweifeln ließ.

18. Oktober 1889, Edinburgh

Am nächsten Morgen brachen wir nach einem kurzen Frühstück auf. Percy griff in eine Schublade in unserer Küche, holte ein großes Glas hervor und schraubte es auf. Darin befanden sich Salmiakpastillen, eine besondere Art von Lakritz, der aus Süßholz aus dem Orient hergestellt wird. Das Süßholz landet in großen Mengen in den Häfen Englands an – auch in Edinburgh.

Percy nahm eine kleine runde Blechdose aus der rechten Tasche seiner Anzughose und füllte sie mit den rautenförmigen Pastillen auf. Er war süchtig danach, ohne Salmiakpastillen fiel es ihm schwer zu denken. Schließlich war er ein brillanter Kopf, der beste Detektiv, den ich je kannte. Percy ließ die nun wieder volle Dose zurück in seine Hosentasche gleiten und folgte mir in die Garderobe, wo wir beide unsere Mäntel anzogen. Nachdem ich die Tasche mit unserer Ausrüstung gegriffen hatte und er für alle Fälle seinen Regenschirm genommen hatte, öffnete ich die Tür und wir traten ins Freie.

Edinburgh war laut und es roch nach Rauch. Es versprach ein wolkiger Tag zu werden, an dem wir die Sonne nicht sehen würden. Es war regnerisch und feucht. Kutschen rauschten an unserem Haus in der Cockburn-Street vorbei und ein paar Jungen verkauften Zeitungen an die Arbeiter, die vorbeikamen und einen Penny übrighatten.

Mit seinem Schirm winkte Percy eine Droschke heran und nannte dem Fahrer die Adresse von Mrs. Kennton. Der Droschkenfahrer schnalzte mit der Zunge und ruckelnd ging die Fahrt los.

Durch die schmutzigen Fenster in den beiden Türen konnten wir Kinder spielen sehen. Nach nicht einer halben Stunde hielt die Droschke vor einer Reihe Häuser aus hellbraunem Backstein, die niedrig waren und zahllose Schornsteine auf dem Dach hatten. Jedes der Häuser hatte einen kleinen Vorgarten und hohe Hecken begrenzten die Grundstücke. Percy bezahlte den Droschkenfahrer, und wir klingelten an der Haustür von Mrs. Kennton. Sie öffnete uns in einem schwarzen Kleid und bat uns hinein.

„Bitte, Mrs. Kennton, ich würde mich gerne einmal im Garten umsehen. Vielleicht könnten Sie meinem Partner Mr. Farnham indessen das Haus zeigen?“, fragte Percy.

„Gewiss!“, antwortete sie.

Das Haus war klein, hatte nur zwei Stockwerke und einen Dachboden. Doch trotzdem hatte es viele Räume, in denen man sich gut verlaufen konnte. Mrs. Kennton zeigte mir die Küche, wo sie das seltsame Gesicht das erste Mal gesehen hatte und danach das Wohnzimmer, wo sie ihm das zweite Mal begegnet war. Beide Räume waren eng und hatten Fenster zum Garten hinaus. Im Wohnzimmer stand ein Sessel direkt vor dem Fenster, aus dem war sie wohl beim Zweiten Mal hochgeschreckt. Neben dem Sessel stand ein schwarzer Ofen, auf dem jetzt eine Kanne mit Kaffee kochte.

„Haben Sie keinen Keller?“, fragte ich.

„Nein Mr. Farnham,“, sagte sie, „mein Haus hat keinen Keller. Aber der Dachboden genügt mir auch völlig.“ In der Zwischenzeit hatte ich mir Notizen gemacht und routiniert einen Plan des Hauses in meinen Notizblock gekritzelt. Man wusste nie, wofür man so etwas brauchen konnte. Ich sah Percy im Garten und beschloss ihm zu folgen.

Ich überprüfte noch schnell ob es Mrs. Kennton gut ging, dann verließ ich das Haus durch die Vordertür. Im feuchten Moos hinterließ ich tiefe Abdrücke und schob mich zwischen den tiefhängenden Zweigen der Bäume und dichtem Gebüsch hindurch. Es regnete feine Tropfen von den Ästen und Blättern, die ich beiseiteschob, Brombeersträucher wucherten im ganzen Garten, und ich musste meinen Mantel so manches Mal von ihren Dornen befreien.

Der Himmel war grau und bedeckt. Auf dem Land würde jetzt wahrscheinlich ein scharfer Wind wehen, doch nicht hier zwischen den Häusern. Die Sonne fehlte und sie hinterließ eine trostlose Kälte, die man nur an einem warmen Kamin mit einem Becher Tee in der Hand vertreiben kann. Ich erreichte Percy, als er unter dem Fenster zum Wohnzimmer stand und den Boden absuchte. Direkt unter dem Fenster wuchs ein Dornengestrüpp, das so wild wuchs, dass es an ein paar Stellen sogar das Fenster bedeckte. Percy hatte seine ledernen Handschuhe angezogen und schob die Rosen zur Seite, um auf das hohe Gras zu sehen.

„Keine Spuren.“, knurrte er, „Nicht der Hauch. Es ist, als wäre ein Geist durch den Garten geflogen und doch muss es ein Wesen aus Fleisch und Blut sein.“

„Wie sieht es weiter hinten im Garten aus? Vielleicht gibt es Hinweise hinter einer Hecke, da könnte sich vielleicht jemand versteckt haben.“, schlug ich vor.

„Daran habe ich auch schon gedacht.“, sagte Percy, „Aber es gab keine Spur. Und im Haus?“

„Alles sehr unübersichtlich. Mrs. Kennton scheint über kein großes Vermögen zu verfügen und hält alles beim Nötigsten.“

„Eine Witwe hat es dieser Tage aber auch schwer.“, sagte Percy, „Komm, wir gehen rein und reden mit ihr.“

Drinnen öffnete Percy die Dose mit den Salmiakpastillen und schob sich gleich zwei auf einmal in den Mund.

„Es tut mir leid, Mrs. Kennton, aber wir müssen es noch einmal fragen: sind Sie sicher, dass es sich bei der seltsamen Erscheinung um ihren Mann handelt? Könnte es auch jemand sein, der ihm äußerst ähnlich sieht? Vielleicht ein Verwandter, ein Bruder?“

„Ich bin mir absolut sicher.“, sagte Mrs. Kennton, und die Festigkeit ihrer Stimme ließ keinen Zweifel an ihrer Überzeugung. Schließlich nickte Percy.

„Dürfen mein Kollege Mr. Farnham und ich uns noch einmal gemeinsam im Haus umsehen?“, fragte er.

„Gern.“, sagte Mrs. Kennton, „Kann ich Ihnen Beiden in der Zwischenzeit einen Kaffee kochen?“

„Eine Tasse Tee wäre uns lieber.“, sagte ich, „Aber bitte, machen Sie sich keine Umstände.“

„Kein Problem, Mr. Farnham, dann setze ich Ihnen Tee auf.“

Ich zeigte Percy die verschiedenen Räume des Erdgeschosses. Im Wohnzimmer beugte sich Percy über Briefe und Zeitschriften, die neben dem Ofen lagen. Der Absender eines der Briefe war ihm ins Auge gesprungen.

„Haben Sie etwas gefunden?“, fragte ich leise, damit Mrs. Kennton uns in der Küche nicht hörte.

„Ich bin mir nicht sicher. Aber sehen Sie diesen Brief hier? Der Absender ist S. Baker. Das sagt mir etwas, ganz sicher.“

Unruhig kaute Percy auf seinen Salmiakpastillen. Flüsternd wiederholte er den Namen.

„S. Baker…“

Wir stiegen schließlich die knarzende Treppe in den ersten Stock hinauf. Dort lag, unter anderem, das Schlafzimmer und ein Badezimmer. Wir kamen in ein Arbeitszimmer, das offenbar nur selten benutzt wurde und das wohl noch aus der Zeit stammte, in der Mrs. Kenntons Mann noch gelebt und sich nicht als Geist seine Zeit vertrieben hatte. Das Fenster ging hinaus in den Vorgarten und auf die Straße, und wir konnten den Punkt sehen, an dem unsere Droschke gehalten hatte.

„Der Dachboden scheint mir nicht so wichtig.“, sagte ich.

„Haben Sie ihn sich angesehen?“, fragte Percy.

„Nein,“, sagte ich, „doch Mrs. Kennton sagte, dort seien bloß ein paar Wäscheleinen gespannt, auf denen sie ihre Wäsche aufhängt und mehr nicht.“

„Dann lass uns…“, begann Percy.

In dem Moment gellte ein Schrei durch das Haus und etwas zerbrach klirrend.


So. Damit endet wohl der zweite Teil meiner Kurzgeschichte. Wie hat sie euch bis hierher gefallen? Ihr könnt es gerne in die Kommentare schreiben. Ihr könnt gleich mit dem dritten Teil weitermachen. Wir sind schon fast am der Hälfte angekommen…

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